Eine haarige Angelegenheit

"Bis Mittwoch hätte ich sowas noch für einen Unfall gehalten", erklärte der Streifenbeamte den Kriminalkommissaren, während er sie zu der Drehbank führte, die in dem kleinen Maschinenbaubetrieb in einem Gewerbegebiet von Leipzig stand.

Der Mittwoch war kein guter Tag für Kommissar Luksch gewesen. Ganz abgesehen davon, daß der geliebte Goldhamster seines Sohnes verstorben war und er den Kleinen kaum trösten konnte, war er an diesem Tag zu einem recht eigenartigen Fall gerufen worden.

Bereits am Montag war eine Studentin namens Kathrin Friedrich als vermißt gemeldet worden, allerdings nicht durch Verwandte oder Freunde, sondern durch ihren Friseur. Sie hatte sich als Haarmodel zur Verfügung gestellt, das im Rahmen eines Wettbewerbs kunstvoll gestylt werden sollte.

Auch am Tag darauf wurde sie von niemandem in der Universität Leipzig gesehen, darum entschied man sich an besagtem Mittwoch schließlich, die Wohnung der Vermissten zu durchsuchen.

Eine gute halbe Stunde später waren auch schon Kommissar Luksch und sein Kollege Regner vor Ort.

Die vermißte 23-Jährige saß tot in einem Stuhl. Ihre fast hüftlangen brünetten Haare steckten allerdings zu einem großen Teil in ihrem Mund. Nach dem vorläufigen Befund des Rechtsmediziners hatte ihr jemand ihre eigenen Haare, ohne sie abzuschneiden, gewaltsam in den Rachen gestopft.

Gestorben war sie allerdings nach der ersten Einschätzung durch einen Genickbruch, verursacht durch einen stumpfen Gegenstand, vermutlich ein Stock oder ein Rohr. Außerdem waren einige Kampfspuren am Körper des Opfers zu entdecken.

Der Stuhl mit der Leiche stand vor einem kleinen Tisch nahe der Wand, auf dem allerlei Kosmetika und eine Haarbürste lagen und standen. An der Wand hing ein Spiegel, der für die recht kleine Wohnung fast überdimensional wirkte.

Die Tote saß direkt auf diesen Spiegel ausgerichtet. So hatte sie vermutlich immer gesessen, wenn sie sich frisierte und schminkte. Ihr Aussehen mußte ihr sehr wichtig gewesen sein.

"Gibt es verwertbare Spuren?" wollte Kommissar Luksch von einem Mitarbeiter der Spurensicherung wissen, der am Tatort arbeitete.

"Jede Menge Haare", stöhnte der Mann. Logisch, durch das Bürsten waren auch immer einige Haare ausgefallen oder ausgerissen worden und auf den Boden gefallen. Auf dessen Schönheit hatte sie auch weniger Wert gelegt als auf ihre eigene.

Luksch ging hinaus auf den Gang vor der Wohnung zu Regner. Dieser befragte gerade einen ziemlich aufgeregten Mann, der so etwas wie einen Friseurkittel trug, allerdings eine eher modische und bunte Sorte. Luksch war von seinem Friseur eher eine schlichtere, dunkelblaue Variante gewohnt.

Auffallend war außerdem der Kontrast zu dem recht unauffälligen grauen Mantel, den der nervöse Friseur über dem Kittel trug. Es war Anfang Oktober und schon recht kalt geworden.

"Ich mußte alle Termine für heute absagen, mein Haarmodel ist tot und sie behandeln mich wie einen Verbrecher."

"Herr Ottka", versuchte Regner den Mann zu beruhigen, "niemand verdächtigt Sie. Ich wollte nur wissen, warum sie Frau Friedrich am Montag vermißt gemeldet haben."

"Ich wollte schon am Sonntag alle Einzelheiten für den Wettbewerb besprechen. Das war eine Woche vor der 'internationalen Show für Kosmetik und Frisur'."

"Was ist das?" wollte Regner wissen.

"Eine Fachmesse für uns Leute aus der Schönheitsbranche. Dort finden auch zahlreiche Wettbewerbe statt, unter anderem um den besten Friseur Sachsens." Ottka strahlte bei diesen Worten, als hätte er den ersten Platz schon sicher.

"Als sie nicht kam, war ich natürlich ziemlich sauer. Ich hab zunächst versucht, sie anzurufen. Als sich niemand meldete, hab ich die Polizei angerufen, aber die haben gesagt, ich muß noch einen Tag warten, bis ich sie vermißt melden kann. Das hab ich dann eben getan. Was glauben Sie, wie mich das aufgeregt hat."

"Das glaube ich Ihnen sofort", erwiderte Kommissar Regner trocken, angesichts der hohen Sprechgeschwindigkeit des Mannes.

"Aber", beeilte sich Ottka hinzuzufügen, "das heißt nicht, daß ich sie ermordet habe. Ich wäre ja froh gewesen, wenn ich sie endlich gefunden hätte. Was mache ich denn jetzt ohne Haarmodel? Soll ich etwa eine Tote frisieren? Hm, obwohl, ..."

"Sie werden sicher einen Ersatz finden", warf Luksch jetzt ein, damit der Mann nicht noch auf absurde Ideen kam.

Es ließ sich nicht mehr Brauchbares aus dem aufgeregten Friseur herausbekommen. Die Kommissare entschieden, ihn in ein paar Tagen nochmals zu befragen, wenn er sich etwas beruhigt hatte.

Das war Mittwoch. Jetzt war Freitagvormittag und die Kommissare standen in einer Werkstatthalle und sahen auf eine Drehbank, vor der ein Mann zu knien schien. Genauer betrachtet hatten sich allerdings seine langen blonden Haare um die sogenannte Spindel gewickelt, die bei einer solchen Maschine im Betrieb schnell rotierte und dabei natürlich herabhängende Dinge, die daran gerieten regelrecht auffraß.

Teilweise hatte die Maschine sogar seine Kopfhaut abgerissen, was den Anblick nicht angenehmer machte. Das alles hatte ihn aber noch nicht umgebracht, sondern der Umstand, daß er, zumindest augenscheinlich, mit der Halsschlagader an einer scharfen Kante der Drehbank entlanggeschrammt war, während sein Kopf an den Haaren in die Maschine gezogen wurde. Die Kante hatte dabei die Schlagader aufgerissen und ihn innerhalb weniger Minuten verbluten lassen. Das inzwischen geronnene Blut hatte sich auf dem Boden um die Drehbank verteilt.

Der Rechtsmediziner vor Ort schätzte die Todeszeit auf etwa Donnerstag Abend acht Uhr. Interessant schienen auch die zwei Schlüsselbunde, die er in den Taschen des Toten gefunden hatte. An einem war ein Schild "Werkstatt" befestigt, der andere gehörte wahrscheinlich zu seiner Privatwohnung.

Luksch und Regner verließen die Halle wieder. Davor trafen sie auf den Arbeitgeber des Toten.

Der 53-jährige Chef des Maschinenbaubetriebes versuchte, einen betont ruhigen Eindruck zu machen, was ihm aber nicht ganz gelang, dafür war seine Haltung einfach zu verkrampft. Ulrich Geiger trug einen Blaumann, hatte einen leichten Bauchansatz und war garantiert kein Kandidat für ein ähnliches Schicksal wie sein Mitarbeiter, er hatte nämlich nur noch am Hinterkopf einen kleinen, teilweise schon ergrauten Haarkranz.

"Ist das Ihr Schlüsselbund?" wollte Luksch vom Inhaber der Firma wissen und präsentierte ihm die "Werkstatt"-Schlüssel.

"Ja, das sind die Ersatzschlüssel für die Werkstatt. Die hab ich dem Jürgen gestern gegeben, weil er abends noch was machen wollte", erklärte Geiger.

"Wissen Sie, was Herr Graß hier noch zu tun hatte?"

"Nein, hab ich aber auch nicht gefragt, ich kenn' den Jürgen ja lange genug."

"Kam sowas öfter vor?"

"Nein, meistens bin ich der Letzte und schließe ab."

"Das Tor der Werkstatthalle war aber abgeschlossen, als Sie heute morgen gekommen sind?"

"Ja, und das Licht war auch aus. Deswegen denke ich ja, daß ihn jemand umgebracht hat. Jürgen hätte ja wohl nicht abschließen und das Licht ausmachen können."

"Ist Ihnen sonst etwas Besonderes aufgefallen?" wollte Luksch weiter wissen

"Nein, ich hab aufgeschlossen, bin rein und dann hab ich den Jürgen so gefunden. Sonst hab ich nichts gesehen."

"Hat Herr Graß immer mit offenen Haaren gearbeitet?"

"Aber nein! Sonst hat er bei der Arbeit natürlich ein Haarnetz getragen, anders hätte ich ihn nicht an die Maschine gelassen."

"Das Haarnetz haben wir in seinem Spind gefunden."

"Ich achte sehr auf die Sicherheit, wissen Sie."

"Hatte der Tote ein Auto?" wollte Regner wissen.

"Nein, seine Freundin hat ihn manchmal mit ihrem kleinen Fiat hergebracht oder abgeholt, sonst ist er Bus gefahren."

"Haben die zusammen gewohnt?"

"Ja, die Adresse hab ich schon einem Ihrer Kollegen gegeben."

Auf der Fahrt zur Wohnung des toten Maschinenbauers Jürgen Graß diskutierten die Kommissare die merkwürdigen Umstände des Falls.

"Der Täter muß schon ziemlich schizophren sein", meinte Regner. "Zuerst drapiert er alles wie einen Unfall, dann unterlaufen ihm derart schwere Fehler, wie das mit der abgeschlossenen Tür."

"Richtig, deswegen lasse ich auch diesen Geiger observieren. Falls sich bis morgen nichts Interessantes ergibt, lasse ich ihn festnehmen."

"Wieso das?" Regner war etwas erstaunt.

"Schläfst Du eigentlich? Mit welchen Schlüsseln soll denn der Täter die Tür abgeschlossen haben? Der Tote hatte die Ersatzschlüssel ja noch bei sich und die Hauptschlüssel hatte Geiger."

"Der Täter könnte Nachschlüssel gehabt haben."

"Vielleicht, aber ich glaube, Geiger lügt."

Es war gegen Mittag, als die Kommissare bei dem recht gut gepflegten Mietshaus ankamen, in dem Jürgen Graß und seine Freundin wohnten.

Nachdem die Kommissare geläutet hatten, öffnete ihnen eine etwa 25 Jahre alte, brünette Frau, durchaus attraktiv, wenn auch nicht sehr zierlich gebaut.

Kommissar Luksch übernahm es, ihr schonend beizubringen, daß ihr Freund heute morgen tot aufgefunden wurde. Er versuchte dabei, die meisten unangenehmen Details zu vermeiden, mußte aber erwähnen, daß man nach Lage der Dinge von einem Mord ausging.

"Mord, wieso denn?" wollte die kreidebleiche Frau wissen.

"Wir hatten gehofft, Sie könnten uns etwas dazu sagen. Hatte ihr Freund Feinde?" fragte Luksch mit einem möglichst einfühlsamen Ton.

"Feinde? Nein!"

"Wann haben Sie Ihn denn zuletzt gesehen?"

"Das war gestern morgen, vor der Arbeit. Ich habe ihn nachmittags noch angerufen, dabei hat er mir gesagt, daß es spät wird. Ich bin abends um neun ins Bett gegangen, da war er noch nicht da", erzählte Sonja Kalis, wobei sie zwischendrin immer wieder schluchzte und tief Luft holen mußte.

"Was machen Sie beruflich?"

"Ich bin Kfz-Mechanikerin in einer kleinen Werkstatt hier in der Nähe. Mittags fahr' ich manchmal kurz nach Hause zum Essen."

"Interessant, es gibt nicht viele Frauen in dem Beruf."

"Naja, ich hab mich schon in der Schule immer für Technik interessiert. Da hab ich auch Jürgen kennengelernt."

"Sie kannten sich schon seit Ihrer Schulzeit?"

"Ja, wir waren schon mit 15 zusammen." Sie schluchzte.

Nach ein paar weiteren Routinefragen verließen sie schließlich die Freundin des Toten.

Am Abend nach Dienstschluß hatte Luksch sich gerade zum Essen mit seiner Frau und seinem Sohn hingesetzt, als das Telefon klingelte. Unter den vorwurfsvollen Blicken seiner Familie griff er kurz darauf hastig seinen Mantel und machte sich wieder auf den Weg ins Präsidium.

Dort wartete bereits Regner, der als Single niemandem zu erklären hatte, warum er schon wieder wegen der Arbeit weg mußte. Außerdem saß Ulrich Geiger, der Chef der Maschinenbaufirma, ziemlich niedergeschlagen in einem Verhörraum des Präsidiums.

Er war erwischt worden, als er in die von der Polizei versiegelte Halle seines Betriebes eingedrungen war, um irgendetwas an der Maschine zu hantieren, in die sein Arbeiter geraten war.

"Herr Geiger, Sie haben jetzt gewaltigen Ärger. Das ist Ihnen doch wohl klar!" Regner wollte heute offensichtlich den bösen Bullen spielen und machte einen entsprechend gereizten Eindruck.

"Ich hatte doch nur was Wichtiges im Betrieb vergessen."

"Was hatten Sie denn vergessen? Und warum ausgerechnet an der Drehbank?"

"Ich, äh, naja."

"Wir haben Ihnen Ihre Geschichte gleich nicht geglaubt, deshalb haben wir Sie beobachten lassen. Sie wollten Beweise verschwinden lassen. Sie werden mit einer Mordanklage rechnen müssen!"

"Ich habe doch niemanden ermordet", protestierte der Maschinenbauer. Er überlegte kurz, dann gab er sich einen Ruck.

"Hören Sie, ich erzähle Ihnen wie es war. Als ich heute morgen kam, war die Werkstatt offen und das Licht an. Der Jürgen lag aber genau so da, wie Sie ihn gesehen haben. Ich hab das Licht ausgemacht, die Maschine ein bißchen abgewischt, damit keine Fingerabdrücke drauf sind und ich hab ein Haarnetz in Jürgens Spind gelegt.

Normalerweise hat der nämlich immer ohne das Netz an der Maschine gearbeitet. Mir war's egal, ist ja sein Kopf. Aber als ich den Unfall gesehen hab, dachte ich, daß das eine Menge Ärger mit der Versicherung und der Gewerbeaufsicht gibt. Also hab ich gelogen, damit das wie ein Mord aussieht, dann wär' ich aus dem Schneider gewesen. Das wär' dann eben noch so ein Haarmord, wie der an der Studentin."

"Und was wollten Sie abends in der Halle?" fragte Regner weiter.

"Der Notausknopf an der Drehbank hat einen Wackelkontakt, die blöde Maschine hat sich ständig von allein abgeschaltet. Deshalb hat der Jürgen da eine Überbrückung drangelötet, die wollte ich noch wegmachen."

"Wenn man den Knopf gedrückt hätte, wäre die Maschine also nicht stehengeblieben?" warf Luksch jetzt ein.

"Genau! Was glauben Sie, was für Schwierigkeiten ich gekriegt hätte, wenn das einer mitbekommen hätte."

"Aber als sie morgens kamen, war die Maschine aus?"

"Ja, wahrscheinlich ist er noch an den normalen Schalter rangekommen, bevor er gestorben ist."

"Aber das wissen wir nicht, da Sie ja die Fingerabdrücke abgewischt haben."

Ulrich Geiger blieb zunächst weiter in Polizeigewahrsam, aber die Kommissare waren sich einig, daß seine Geschichte recht überzeugend klang.

Auch am nächsten Tag, dem Samstag, konnte Luksch nicht bei Frau und Kind bleiben. Er hatte immer noch Dienst und ein weiteres Gespräch mit dem Friseur Ottka stand an.

Wie dieser den Kommissaren erzählt hatte, würde er an dem Samstag die meiste Zeit auf dem Leipziger Messegelände sein. Dort fand an diesem Wochenende die "internationale Show für Kosmetik und Frisur" statt.

Normalerweise kamen nur Fachbesucher in diese Messe hinein, aber Dienstausweise der Polizei ließen die Kontrolleure auch als Eintrittskarte gelten.

Nachdem sie vorgestern den Paradiesvogel Ottka erlebt hatten, hatten sie eigentlich ein Treiben wie im Karneval erwartet.

Die meisten Besucher und Aussteller waren allerdings völlig alltäglich gekleidet oder in üblicher Arbeitskleidung und machten den Eindruck ganz normaler Mittelständler.

Die Stände waren dagegen recht bunt gestaltet, viele präsentierten Dinge wie Färbemittel für Haare, Nagellack, Lippenstifte, Bräunungsmittel oder Hautcremes, ebenso Dekorationsartikel wie Haarbänder und Modeschmuck und natürlich Perücken jeder Form und Farbe.

Am auffallendsten war der Geruch der diversen Shampoos, Haarwässerchen, Parfüms und sonstiger Chemikalien, der von den Ständen auf die Kommissare einströmte, sich aber immer nach einigen Metern änderte.

Regner hatte sich noch einen Lageplan der Messe besorgt und führte Luksch nun vorbei an Jasminduft, einem aufdringlichen Fichtennadelgestank und etwas, das er nur als "Toilettensteingeruch" identifizieren konnte. Sollte das Licht ausfallen, hätten sie sich mühelos den Weg zurück zum Ausgang erriechen können.

Schließlich erreichten sie eine Art Bühne. Darauf waren mehrere Frisierstühle aufgestellt, in denen die Haarmodels saßen. Neben ihnen stand jeweils eine Friseurin oder ein Friseur und schnitt, formte oder färbte die Haare. Vor der Bühne fanden sich viele interessierte Zuschauer, die lebhaft über die Arbeiten und neue Modetrends bei Frisuren diskutierten.

"Gibt es keine männlichen Haarmodels?" wollte Luksch wissen.

"Doch, aber das ist im Moment der Wettbewerb für den besten Friseur Sachsens bei Damenfrisuren", erklärte Regner, der es in seinem Messeführer gelesen hatte.

Die Kommissare hatten nun auch Ottka auf der Bühne entdeckt. Sein Haarmodel hatte eine strubbelige Kurzhaarfrisur, blond gefärbt und vermutlich modisch hochaktuell. Momentan war er noch dabei, letzte Hand an sein Kunstwerk zu legen.

Als einige Minuten später die Friseure und Models die Bühne verließen, kam Ottka zu den Ermittlern.

"Sie hätten sich nicht die Mühe machen müssen, herzukommen, ich wäre schon für meine Aussage zur Polizei gegangen." Friseur Ottka war wesentlich entspannter als bei ihrem letzten Zusammentreffen. Er hatte gerade den Hauptteil des Wettbewerbs hinter sich gebracht, auf den er sich so intensiv vorbereitet hatte.

"Das ist eine gute Gelegenheit, uns diese Messe mal anzusehen", meinte Regner.

"Meiner Frau würde es hier gefallen", warf Luksch ein.

"Die Messe ist nur für Fachpublikum, die Damen würden sonst wahrscheinlich sämtliche Gänge verstopfen", scherzte Ottka und grinste.

"Nach dem Tod von Frau Friedrich mußten Sie wohl etwas umdisponieren?" wollte Luksch wissen.

"Eigentlich nicht, dazu hatte ich ja kaum Zeit. Ich habe zum Glück eine andere Kundin gehabt, die ich dafür gewinnen konnte, auch noch ein ähnlicher Typ wie Kathrin", erklärte der Friseur. "Es mag vielleicht herzlos aussehen, aber verstehen Sie, dieser Wettbewerb ist für mich sehr wichtig."

"Hatten Sie von Anfang an diese Frisur geplant? Schließlich war das Haar von Frau Friedrich ziemlich lang und sie wollte es sicher nicht abschneiden." Luksch wurde neugierig.

"Ich fand, sie hatte eine Typveränderung nötig. Gut, sie war zunächst nicht besonders glücklich."

"Sie haben sich gestritten", unterbrach Luksch.

"Ja schon, aber ich konnte sie überzeugen."

"Wirklich? Oder haben Sie sich nicht doch heftiger wegen der Frisur gestritten?"

"Tut mir ja leid, aber das stimmt nicht. Ich habe sie auch nicht umgebracht." Ottka grinste noch immer. Sogar eine solche unterschwellige Beschuldigung machte ihm im Moment nichts aus. "Und für den Tod von Herrn Graß habe ich ein Alibi, falls sie das noch fragen wollten."

"Woher wissen Sie, daß der andere Tote Graß hieß? Das stand nicht in der Zeitung." Luksch war jetzt sichtlich irritiert.

"Er war auch ein Kunde von mir. Nachdem ich von einem Maschinenbauer Jürgen G. mit langen blonden Haaren gelesen hatte, habe ich mal bei ihm angerufen. Seine Freundin hat mir dann die Geschichte erzählt. Das wußten Sie wohl gar nicht?"

Die verblüfften Gesichter der beiden Kommissare verrieten dem Friseur, daß sie es nicht wußten.

"Bei mir hat er übrigens auch Kathrin Friedrich kennengelernt" führte Ottka weiter aus.

"Die beiden kannten sich?"

"Mehr sogar. Also, sie haben nicht Händchen gehalten oder so, aber wie die sich angesehen haben, ich bin ziemlich sicher, da lief was."

"Ich muß kurz telefonieren." Luksch stürmte geradezu davon und ließ seinen Kollegen und den Friseur einfach stehen. Regner stellte noch einige weitere Fragen und verabschiedete sich dann höflich von Ottka, wobei er sich auch gleich für Luksch entschuldigte. Regner traf ihn erst beim Auto wieder, wo er ungeduldig wartete, um endlich ins Präsidium fahren zu können.

Kurz nachdem die Kommissare dort eingetroffen waren, wurde auch Sonja Kalis, die Freundin von Maschinenbauer Graß, von einer Polizeistreife gebracht. Sie war verständlicherweise wütend, daß die Polizei sie von zuhause "weggeschleppt" hatte, wie sie es nannte.

"Frau Kalis", eröffnete Luksch, "Sie stehen in dringendem Tatverdacht, Frau Kathrin Friedrich und Herrn Jürgen Graß ermordet zu haben."

"Was?" Sonja Kalis machte einen schockierten Eindruck. "Ich soll meinen Jürgen umgebracht haben? Und wer ist Kathrin Friedrich? Der Name sagt mir nichts."

"Die Frau, mit der 'Ihr Jürgen' eine Affäre hatte. Sie haben Sie aufgesucht, sich gestritten und ihr dann mit einem Rohr oder ähnlichem das Genick gebrochen.

Nachdem Ihr untreuer Freund mißtrauisch wurde, haben sie sich mit ihm nach Feierabend in seinem Betrieb verabredet, ihn ermordet und das Ganze wie einen Unfall aussehen lassen.

Sie hatten nur nicht damit gerechnet, daß ausgerechnet der Friseur Frau Friedrich als vermißt melden würde, zu dem auch ihr Freund ging."

"Das alles ist doch unsinnig, das müßten Sie erstmal beweisen!" tobte die Beschuldigte.

"Zumindest für den Mord an Frau Friedrich werden wir den Beweis bald haben, nachdem wir jetzt wissen, wo wir suchen müssen", gab Luksch mit einer gewissen Genugtuung zurück.

Regner, dem Luksch noch nichts von einem eventuellen Beweis erzählt hatte, versuchte einen professionellen Gesichtsausdruck zu behalten, schaffte es aber nicht so ganz.

"Sie haben gar nichts", konterte Sonja Kalis.

"Sehen Sie, ich habe mich gefragt, warum der Ermordeten ihre Haare in den Rachen geschoben wurden. Zunächst dachte ich an schlichte Wut oder eventuell ein Ritual, aber es hatte praktische Gründe.

Sie haben mit Frau Friedrich vor dem Mord gekämpft und dabei sind ein paar Ihrer Haare in den Mund des Opfers gekommen. Sie wußten, daß ein Haar Sie bereits verraten könnte und sie hatten nicht die Zeit, alle sorgfältig wieder zu entfernen.

Also haben Sie das Nächstliegende getan und ihr die eigenen Haare, die ja fast die gleiche Farbe haben wie Ihre, in den Mund gestopft und gehofft, daß niemand die fremden Haare zwischen den anderen finden würde.

Es hätte fast geklappt, aber jetzt sind unsere Leute natürlich eifrig auf der Suche nach Ihren Haaren und ich bin sehr sicher, daß sie welche finden werden." Luksch lächelte fast schon, nachdem er seinen Monolog beendet hatte.

"Ich will einen Anwalt." Mehr hatte Frau Kalis im Moment nicht zu sagen.

Als Kommissar Luksch später zurück in sein Büro kam, um den Mantel anzuziehen und wenigstens den Rest des Wochenendes mit seiner Familie zu verbringen, fiel sein Blick allerdings auf einen handgeschriebenen Zettel auf seinem Schreibtisch.

Darauf stand, daß gerade ein 67jähriger Rentner gefunden wurde, der offenbar mit einer Echthaarperücke erdrosselt worden war. Luksch stöhnte nur kurz auf und machte sich dann auf die Suche nach seinem Kollegen Regner, um mit ihm zum Fundort der Leiche zu fahren.
 
 
 
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